Frau Kahn, Sie planen seit über 30 Jahren Veranstaltungen und haben schon einiges erlebt. Was denken Sie, wie Corona unsere Branche verändern wird?
Ich bin überzeugt, dass Corona den größten Einschnitt in die Eventbranche der letzten Jahrzehnte darstellt. Die Auswirkungen dieser Krise werden die des Platzens der Dotcom-Blase Anfang der 2000er Jahre oder die der Finanzkrise 2009 bei weitem in den Schatten stellen. Und vor allem: Anders als bei den beiden genannten Krisen wird es dieses Mal meines Erachtens kein Zurück zu „business as usual“ geben. Corona wird unsere Branche nachhaltig verändern.
Was heißt das konkret?
Auch wenn sämtliche Kontaktbeschränkungen und Reiseauflagen aufgehoben sind, wird es keine Rückkehr zu Vor-Corona-Zeiten geben. Ich bin überzeugt, dass beispielsweise das Geschäftsreisevolumen auch nach der Krise nicht zum ursprünglichen Volumen zurückfindet, weil viele Unternehmen festgestellt haben, wie gut Video-Konferenzen funktionieren und wie viel mehr zeitlichen Freiraum ihre Mitarbeiter ohne die vielen Reisen haben. Das wird einen Effekt auf Messen aber auch um kleine Veranstaltungen rund um Geschäftstermine haben, wie beispielsweise ein besonderes Essen im Anschluss an einen Kundentermin.
Aber auch die Art, wie gefeiert, getagt und genetzwerkt wird, wird sich verändern. Im privaten Bereich werden Familienfeiern meines Erachtens bald wieder auf normalem Niveau stattfinden. Aber beispielsweise um Großveranstaltungen, bei denen man sich mit wildfremden Menschen extrem nah kommt – ob Festival oder Schaumparty – werden die Menschen sicherlich noch eine Weile einen großen Bogen machen.
Gerade für Firmen ist aber der Verantwortungsgrad ein anderer. Sie werden sich gut überlegen, ob sie Mitarbeiter oder Kunden einem Risiko aussetzen wollen. Und damit vielleicht ein ungutes Gefühl bei den Menschen erzeugen, weil sie eine Absage für unhöflich halten, aber eigentlich lieber fernbleiben möchten.
Wie werden die Unternehmen der Veranstaltungsbranche Ihrer Meinung nach damit umgehen?
Diese Entwicklung ist bitter für die Branche, weil etablierte Geschäftsmodelle und sichere Einnahmequellen wegbrechen. Auf der anderen Seite sind wir durch die Krise nun gezwungen, kreativ zu werden und neue Lösungen zu finden.
Aber wie soll das funktionieren, wenn Menschen nun einmal nicht mehr zusammenkommen möchten?
Die Kernidee von Veranstaltungen bleibt gleich: Es geht darum, Menschen gut zu unterhalten, ihnen etwas Besonderes zu bieten, Emotionen zu kreieren, ihnen ein gutes und auserwähltes Gefühl zu geben sowie darum, Menschen miteinander zu vernetzen und ihnen Gelegenheit für einen Austausch zu schaffen. Wir sind nun gefordert, neue Formate zu entwickeln, die all das leisten und die gleichzeitig den veränderten Ansprüchen nach mehr körperlicher Distanz entsprechen.
Aha! Und wie geht das?
Wir haben uns bei KahnEvents in der Krise mit der Frage beschäftigt, wie wir Online-Veranstaltungen emotionalisieren können. Denn das Bild von Menschen, die sich vor ihren Bildschirmen langweilen, entspricht gar nicht unserer Vorstellung von „Event“. Wir haben deshalb mit verschiedenen Tools experimentiert und die jeweiligen Möglichkeiten ausprobiert. Und wir sind fündig geworden! KahnEvents ist einer der wenigen lizensierten Profi-Partner der Plattform Hopin.to, die sich auch als erste „digitale Location“ bezeichnen lässt. Der große Vorteil: Hier lassen sich Veranstaltungen hybrid, also teilweise physisch und teilweise digital abbilden. Mit dieser Plattform lässt sich ein extrem buntes Event kreieren – inklusive Show-Programm auf mehrere Bühnen, Gelegenheiten zum Netzwerken, Zufallsbekanntschaften und sogar einer Interaktion zwischen Künstlern und Publikum. Damit erleben die Teilnehmer eine Mischung aus Live-Event und „interaktivem Fernsehen“.
Aber funktioniert das tatsächlich? Das klingt jetzt noch ein bisschen technisch …
Das funktioniert sogar sehr gut! Wir haben im Mai ein Event initiiert, für das wir uns mit mehreren Unternehmen der Hamburger Kultur-, Gastro- und Veranstaltungsbranche zusammengetan haben: „DisTanz im Mai“. Wir waren alle ein bisschen frustriert, weil bei bestem Wetter das komplette Geschäft ruhte. Unter dem Motto „Lieber ein Mai-Beben als klein beigeben“ haben wir ein Online-Festival ins Leben gerufen: mit Live-Musik, Improvisationstheater und einem DJ auf verschiedenen Bühnen der Stadt. Das Programm wurde live gestreamt, so dass die Gäste zwischen den verschiedenen Bühnen wechseln konnten. Und sie konnten sogar Einfluss auf das Programm nehmen – sei es über Stichworte für das Improvisationstheater der Schauspieler des Scharlatan Theaters oder über Songwünsche an die Musiker.
Neben dem Bühnenprogramm gab es virtuelle Räume für Sessions, in denen sich Teilnehmer in kleineren Gruppen treffen und austauschen konnten – ganz wie auf einem echten Festival. Auch spontane Zufallsbekanntschaften waren möglich – mit einem digitalen Speed-Dating, bei dem immer zwei Teilnehmer per Zufall zusammentreffen.
Wir hatten 200 Gäste – aus Deutschland und der ganzen Welt. Sie waren positiv überrascht, wie viel Spaß ein Festival am heimischen Computer bringen kann.
Ist das auch für Unternehmen attraktiv?
Absolut. Wir haben während der Corona-Zeit mehrere Veranstaltungen mit zehn bis 1.500 Teilnehmern umgesetzt, im Privat- wie im Firmenbereich, und alle waren sehr zufrieden. Der Vorteil für Firmen besteht ganz klar darin, dass sie auf diese Weise weltweit Menschen mit einem einzigen Event erreichen können. Das ist für standortübergreifende Mitarbeiterveranstaltungen sehr spannend, aber genauso für globale Produktpräsentationen. Da auch 1:1-Gespräche in kurzen Sessions gut abbildbar sind, kann man so auch extrem effektiv Verkaufsgespräche führen, die sonst auf Messen stattfinden.
Die Kosteneffizienz sieht außerdem besser aus. Bestimmte Kosten – wie Reisekosten beispielsweise – entfallen ja. Je nach Anspruch und Veranstaltung lassen sich Online-Events auch für ein kleineres Budget abbilden. Allerdings sollte nicht unterschätzt werden, dass die konzeptionelle Arbeit und die Technik wichtige Faktoren für den Erfolg eines Online-Events sind. In jedem Fall ist jedoch die Kosteneffizienz für die Corona-gebeutelte Wirtschaft sicherlich auch ein interessanter Aspekt.
Klingt nach einer spannenden Entwicklung …
Ja, und das Verrückte ist: Unsere Branche entwickelt sich ja immer weiter. Aber nun haben Innovationen, die normalerweise Jahre dauern, innerhalb weniger Wochen den Markt verändert. Corona hat hier wie ein Katalysator die Digitalisierung der Branche weiter beschleunigt.
Also sehen Sie unterm Strich die Corona-Veränderungen positiv für sich?
Naja, machen wir uns nichts vor. Corona ist ein extrem harter Einschnitt, für die ganze Branche und auch für unsere Agentur. Aber: Die Krise hat gezeigt, dass unsere Branche vielleicht flexibler und kreativer auf „Katastrophen“ reagiert als andere Wirtschaftsbereiche. Denn das ist unser Job. Jeder von uns kennt diese Situationen: Bis fünf Minuten vor Beginn der Gala fliegen noch die Sicherungen in der Location raus, der Star-Gast hat den Flieger verpasst, bei sintflutartigem Regen halten die Pavillons doch nicht stand wie versprochen … wir sind alle sehr gut darin, in einer unerwarteten Krisensituation blitzschnell zu reagieren, die Ruhe zu bewahren und einen Plan B aus dem Hut zu zaubern.
Insofern können wir als Branche vielleicht sogar ein bisschen Konjunkturhilfe leisten. Wir können unsere Kunden an die Hand nehmen und ihnen neue Möglichkeiten aufzeigen, wie sie Kunden- und Mitarbeiterbindung, Verkauf und Vermarktung ihrer Produkte trotz allem noch emotional realisieren können. Denn „#stayathome“ ist auf Dauer keine Lösung. Die Wirtschaftsunternehmen müssen wieder „raus“, müssen sich vernetzen, sich mit ihren Kunden austauschen und ihre Produkte präsentieren, ihre Mitarbeiter binden und für gute Leistungen belohnen, damit sie nach der Krise erfolgreich durchstarten können.