Wir sind nachhaltig. Keiner traut sich, dagegen etwas zu sagen. Warum auch? Nachhaltigkeit ist gut. Nachhaltig zu sein, ist ein moralischer Wert und ein Begriff, der durch und durch positiv besetzt ist. Tiefkühlpizza, Biosprit, Finanzprodukt oder Regalbrett — deren Hersteller werben damit, angeblich nachhaltige Produkte zu verkaufen. Was viele Werbetreibende verschweigen: Nachhaltig ist kein anderes Wort für umweltfreundlich.
Nachhaltig bedeutet mehr: Es beschreibt ein Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen oder sich regenerieren kann. Wenn Hotels von Nachhaltigkeitskonzepten berichten und damit meinen, dass der Gast sein Handtuch auch ein zweites Mal benutzen kann, dann ist dieses Nachhaltigkeitskonzept nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt ist. Es gibt aber durchaus viele Hotels, die sich gewaltig Mühe geben, nachhaltig zu wirtschaften. Das spart langfristig nicht nur Geld, sondern ist auch fürs Image gut. Und für die Welt sowieso.Ein Paradebeispiel liefert das Steigenberger Hotel am Kanzleramt in Berlin ab. Auf der Speisekarte stehen Bio- und Fairtrade-Produkte überwiegend aus regionalem Anbau und Biosnacks. Sogar die Schreibutensilien lassen sich recyceln und das Abfallmanagement wird streng überwacht. Das Gebäude selbst ist sowohl von seiner Bausubstanz als auch beim Umgang mit Energien nachhaltig; die Veranstaltung von MICE-Kunden stellt das Hotel CO2-neutral.
Überhaupt ist die Veranstaltungswirtschaft in Deutschland schon ziemlich weit, was das Thema Nachhaltigkeit anbelangt. „Unser Nachhaltigkeitskonzept hat sich auch wirtschaftlich schon gelohnt“, sagt Wolfgang Marzin, Geschäftsführer der Messe Frankfurt. Er hat britische Veranstalter gewinnen können, in der Stadt am Main Messen zu organisieren, weil das Unternehmen seine Nachhaltigkeit hat zertifizieren lassen. Energie- und Abfallmanagement, Mobilität, Logistik und Gastronomie – alles ist nachhaltig. Das neue Kap Europa ist das weltweit erste Kongresshaus, das ein Goldzertifikat der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) verliehen bekam. Claudia Delius-Fisher, Leiterin Congress Frankfurt, erfreut sich deswegen einer großen Nachfrage von Kongressveranstaltern. Ohne die schicke, neue und nachhaltige Veranstaltungshalle, wären viele Kongressveranstalter nicht gekommen. Neue Kundschaft hat Delius-Fisher aber auch, weil sie nun einen Veranstaltungsort für mittelgroße Tagungen verkaufen kann mit bis zu 2.400 Personen. So eine Location hat Frankfurt vorher gefehlt.
Nach Frankfurt kämen viele Menschen aus der Bauwirtschaft, weil sie sich Beispiele anschauen wollten, wie schicke Architektur mit Passivhaus-Standard vereint werden könne, sagt Rosemarie Heil, Dezernentin für Umwelt und Gesundheit der Stadt. Frankfurt ist nach Angaben von Arcadis sogar die nachhaltigste Stadt der Welt, gefolgt von London und Kopenhagen. Arcadis ist eine globale Planungs- und Beratungsgesellschaft für „Natural and Built Assets“ (natürliche Schutzgüter und bauliche Vermögenswerte). Unlängst reisten rund 400 Vertreter der deutschsprachigen Veranstaltungsbranche – Locations und Tagungshotels, Kongressbüros der Destinationen sowie Dienstleister und Agenturen – zur dritten „Greenmeetings und Events Konferenz“ in Frankfurt. Die Veranstalter des Kongresses sehen sich in der Verantwortung: Joachim König, Präsident des Europäischen Verbands der Veranstaltungs-Centren (EVVC) und Matthias Schultze, Geschäftsführer des German Convention Bureaus (GCB) betonen, wie wichtig es für sie ist, dem Thema Nachhaltigkeit mehr Bedeutung innerhalb der Branche zu verleihen. Wer Nachhaltigkeit vorlebt, kann auf Nachahmer hoffen.
370 Millionen Multiplikatoren
Die Veranstaltungswirtschaft in Deutschland mit mehr als drei Millionen Veranstaltungen und über 370 Millionen Teilnehmern hat eine Multiplikatorenfunktion. Mehr als 20 Workshops gaben konkrete Tipps zur nachhaltigen Veranstaltungsorganisation: von der Architektur neuer Locations über nachhaltiges Catering bis hin zur Gesundheit der Mitarbeiter. Bei den Meeting Experts Green Awards wurden Preise in fünf Kategorien vergeben: Olympiastadion Berlin in der Kategorie Energie-Management/Ressourcen-Schonung, Steigenberger Hotel Am Kanzleramt als nachhaltigste Veranstaltung, das Landgut Stober als nachhaltigste Location, Eurogress Aachen für das nachhaltigste Personal-Management und die Kette Bio-Hotels als nachhaltigstes Unternehmen.
Ideen lieferten die beiden Keynote-Redner der Konferenz: Martin Powell, Head of Urban Development beim Global Centre of Competence for Cities der Siemens AG, vermittelte zu Beginn der Konferenz dem Publikum Details über die ökonomische und ökologische Stadtentwicklung der Zukunft. Der Schauspieler und Umweltakti-vist Hannes Jaenicke ermunterte zum Abschluss der Konferenz die Teilnehmer, ihre Macht und Verantwortung als „mündige Verbraucher“ wahrzunehmen. „Bei Nachhaltigkeit geht es auch immer um das Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung“, sagt Prof. Dr. Ulrich Holzbaur von der Hochschule Aalen. Sein Professorenkollege Stefan Luppold von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) definiert Nachhaltigkeit so: „Wir müssen unsere Bedürfnisse so befriedigen, dass die Generationen nach uns auch noch ihre Bedürfnisse befriedigen können.“
Nachhaltige Mobilität gehörte auch zu den Dingen, die während des zweitägigen Kongresses diskutiert wurde. Projektleiterin Friederike Aulhorn stellte Qixxit vor, das Mobilitäts-portal der Deutschen Bahn. Der Online-Reiseplaner soll das Reisen einfacher machen. Die Website ermöglicht deutschlandweit eine verkehrsmittelübergreifende und hausnummerngenaue Reiseplanung. Qixxit vergleicht und kombiniert verfügbare Verbindungen und hilft so bei der Auswahl der passenden Reiseroute. Das Programm zeigt Verbindungen für verschiedene Verkehrsmittel, wie Flugzeuge, Nah- und Fernzüge, Fern- und Regionalbusse, private und geteilte Autos (Carsharing), Mietwagen sowie Fahrräder an. Selbst Fußwege werden aufgelistet. Aulhorn betonte, ihr Portal bevorzuge nicht die Bahn; vielmehr zeige es neutrale Reisevarianten. Ziel sei es, Kunden auf Alternativen zum eigenen Auto aufmerksam zu machen. Qixxit gibt es im Internet und als App für Android Smartphones sowie iOS-Endgeräte. Reisende geben bei Qixxit Start und Ziel ein. Die Programmsoftware zeigt dann je nach Einstellung die schnellsten, billigsten oder komfortabelsten Verbindungen an. Diese sind detailgenau und bringen die User von „Tür zu Tür“.
Vielleicht trägt Qixxit dazu bei, dass der „World Overshoot Day“ in einigen Jahren erst im Herbst oder Winter kommt. Vergangenes Jahr war dieser traurige Tag am 19. August. Zwar merkte es kaum jemand. Aber die Erde war erschöpft. Am „Welterschöpfungstag“, „Ökoschuldentag“ oder „Erd-überlastungstag“, wie dieses Datum auch genannt wird, übersteigt die menschliche Nachfrage an natürlichen Ressourcen die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen. Es ist der Tag, ab dem die Menschheit im Soll der Erde steht, weil sie mehr verbraucht, als sie sich – über das Jahr gesehen – eigentlich leisten kann. Damit machte vergangenes Jahr bereits zwei Tage früher als 2013 bei der Erde Schulden und vier Tage früher als noch 2012. Seit 1986 rückt der Tag jedes Jahr auf ein früheres Datum – eine Ausnahme bildete 2009, wohl wegen der Wirtschaftskrise.
19. August 2014: Die Welt war erschöpft
Fiel der „World Overshoot Day“ 1987 noch auf den 19. Dezember, so waren die Ressourcen 1995 bereits am 21. November erschöpft. 2007 war der 6. Oktober der Stichtag.
Dabei ist Nachhaltigkeit nichts Neues. Vor 300 Jahren starb ihr Erfinder Hans Carl von Carlowitz. Er brachte den Gedanken der nachhaltigen Wirtschaftsweise in die Köpfe der Menschen. Denn der Wald im 18. Jahrhundert lag im Argen. Der Bergbau verschlang Holz. Köhler und Glasbläser taten es genauso. Das 18. Jahrhundert war das Jahrhundert der großen Energiekrise in Europa. Dabei taucht in dem Werk von Carlowitz das Wort „nachhaltig“ nur ein einziges Mal auf: Auf Seite 105 fordert der sächsische Oberberghauptmann, „eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen, dass es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe“. Carlowitz forderte „pfleglich“ mit der Natur und ihren Rohstoffen umzugehen. Dem Wald sollte man nicht mehr Holz entnehmen als nachwächst. Das hört sich banal an, doch erforderte genau dies eine moderne Forstwirtschaft. Mehr noch. Modernes Wirtschaften und Management funktioniert nicht anders. Jedenfalls nicht nachhaltig.
Von Thomas Grether