Studieren in Zeiten von Corona: Für Studenten und Hochschulen gleichermaßen herausfordernd

Zeiss
Prof. Dr. Harald Zeiss
Studiendekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften
Studiengangkoordinator International Tourism Studies (ITS)
Stellv. Direktor des Instituts für Tourismusforschung der Hochschule Harz
Professur für Tourismusmanagement und Betriebswirtschaft insbes. Internationaler Tourismus und Nachhaltigkeit Fachbereich Wirtschaftswissenschaften

Ich bin an der Hochschule Harz für den Studiengang International Tourism Studies, kurz ITS, zuständig. Außerdem arbeite ich im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften als Studiendekan. Wie alle anderen auch wurde die Hochschule Harz von der Corona-Krise kalt erwischt. Das Sommersemester hatte noch gar nicht begonnen. Am Anfang dachten wir, dass sich die Krise innerhalb einiger Wochen erledigen würde, so dass der neue Start des Semesters auf den Montag nach Ostern gelegt wurde. Dafür brauchte es aber erst einmal einen Beschluss des Landes Sachsen-Anhalt, der für alle Hochschulen verbindlich war. Und dieser Schritt wurde auch erst unternommen, nachdem andere Bundesländer bereits ihre Semester verschoben hatten. Man sieht also, dass auch eine föderale Hochschulpolitik nicht ohne eine gemeinsame, deutschlandweite Basis umsetzbar ist.

Also begann das Semester gut fünf Wochen verspätet. Was sehr einfach zu verkünden war, entpuppte sich aber als durchaus schwieriges Unterfangen. Zum einen waren bereits viele Studenten in Wernigerode vor Ort und mussten zurück nach Hause, was vor allem die internationalen Studenten vor echte Herausforderungen stellte. Die Hochschulleitung bereitete sich schon in der ersten Corona-Woche darauf vor, dass das Semester nicht klassisch mit Vorlesungen durchführbar würde, denn viele Menschen an einem Ort würden ohne Impfung nicht erlaubt sein. Also mussten für alle Kurse digitale Lösungen erarbeitet werden. Das war eine große Herausforderung für die Hochschule, beispielsweise hinsichtlich Infrastruktur und Serverkapazitäten. Aber die viel größere Herausforderung lag bei den Kolleginnen und Kollegen, die seit Jahr und Tag Präsenzlehre halten und mit Online bis dato nicht viel am Hut hatten. Wie in allen anderen Unternehmen auch, mussten sich alle erst langsam an die neuen Gegebenheiten herantasten. Zum Glück wurde bereits 2018 eine Kommission für Digitalisierung ins Leben gerufen, die sofort handlungsfähig war. Bis aber alles tatsächlich funktioniert, das stand auf einem anderen Blatt.

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Abb. GoodStudio / shutterstock.com

Eine Vorlesung kann man nicht so einfach digitalisieren. Es ist zwar möglich, den Vorlesungsraum selbst ins Internet zu verlagern, aber damit wird letztlich nur die Übertragung digital; nicht die Inhalte und das Lehrkonzept. In der Kürze der Zeit und aufgrund der Dringlichkeit war allerdings nicht mehr erreichbar, als stabile Zoom-Konferenzen zu organisieren und so Vorlesungen zu realisieren. Darüber hinaus gab es weitere Herausforderung – denn im Vorlesungsaal herrscht in der Regel eine große Interaktion, die im Internet mit sehr vielen Teilnehmern nicht möglich ist. Wir waren uns auch nicht sicher, wie die Studenten auf dieses Lehrkonzept reagieren würden. Ist es möglich, 90 Minuten Vorlesung am Computer mitzuverfolgen? Ist die Bandbreite bei den Studenten ausreichend? Was passiert, wenn Studenten aus der Vorlesung „rausgeworfen“ werden und dann die Vorlesung verpassen? Sollten alle Vorlesungen vollständig aufgezeichnet werden, damit die Studenten später die Inhalte noch einmal ansehen können? Diese und viele andere Fragen galt es im Vorfeld zu beantworten. Am Ende war sehr viel mehr machbar, als wir noch vor ein paar Wochen gedacht hätten.

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Foto: fizkes / shutterstock.com

Damit den Studenten darüber hinaus keine Nachteile entstehen, können in diesem Semester alle Noten annulliert werden. Außerdem kann das Semester auf Wunsch auch komplett gelöscht werden und zählt dann nicht als Fachsemester. Diese sehr studentenfreundliche Regelung hat viele Sorgen reduziert und schafft auch Spielraum, wenn die Lehrenden nicht die Möglichkeit haben, alles so umzusetzen, wie es ursprünglich geplant war. Aktuell läuft das Semester erstaunlich gut und es gibt bis dato kaum Probleme, wie eine Umfrage unter Studenten zeigte. Allerdings ist noch unklar, unter welchen Bedingungen im Juli Klausuren geschrieben werden können. Wenn es nicht klassisch vor Ort und auf Papier geht, dann werden die Herausforderungen schnell steigen. Wie will man beispielsweise 100 und mehr Studenten online überprüfen, damit auch keiner die Möglichkeit einer Täuschung nutzt? Wir hoffen also sehr, dass die Klausuren – mit Abstand und Masken – ganz normal geschrieben werden können.

An der Hochschule Harz lehre ich Tourismus. Alle wissen, wie es der Branche geht. Nämlich richtig schlecht. Als Professor einer staatlichen Hochschule muss ich mir zwar keine Sorgen um meinen Job machen, aber die Befürchtung wächst, dass die Studentenzahlen im Herbst einbrechen werden. Wer will noch Tourismus studieren, wenn es viele Reiseveranstalter und Reisebüros in die Insolvenz treibt? Zwar ist klar, dass auch der Tourismus wieder auf die Beine kommt, aber wie viele davon dann amputiert sein werden, das steht noch in den Sternen. Für uns heißt das aber, dass wir unsere Marketingaktivitäten verstärken werden. Ein erster Schritt ist getan: der Tag der offenen Tür der Hochschule Harz wird – statt auf der Campuswiese – diesmal online stattfinden. Mit einem aufwändigen Programm, um Schülern und Abiturienten Lust auf ein Tourismusstudium zu machen. Eine Herausforderung, die hoffentlich Früchte tragen wird, bevor es dann im Winter mit dem nächsten Semester weiter geht. Diesmal hoffentlich wieder auf dem Campus und nicht aus dem Homeoffice, denn ich vermisse den direkten Kontakt zu meinen Studenten und Kollegen schon sehr!

Prof. Dr. Harald Zeiss

Prof. Dr. Harald Zeiss studierte Betriebswirtschaft in Nürnberg, Politikwissenschaften in Straßburg und erwarb einen MBA in den USA. An der wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU) in Vallendar wurde Zeiss promoviert.

Seine berufliche Karriere startet er 2001 bei der Unternehmensberatung Q_Perior in München. 2005 wechselte er zum Reiseveranstalter TUI Deutschland nach Hannover. Dort arbeitete Zeiss elf Jahre lang in verschiedenen Verantwortungsbereichen, u.a. im Qualitätsmanagement, in der Produktentwicklung und im Einkauf. Von 2010 bis 2016 leitet er das Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitsmanagement der TUI.

Harald Zeiss ist seit 2011 Professor an der Hochschule Harz in Wernigerode, mit den Forschungsschwerpunkten Nachhaltigkeit und Internationaler Tourismus. Neben der Forschung und Lehre ist er seit 2012 verantwortlich für den Studiengang International Tourism Studies (ITS) und als Studiendekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften tätig.

2011 gründete Prof. Zeiss das Institut für Nachhaltigen Tourismus GmbH (Inatour) mit Sitz in Wernigerode, dessen alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er bis heute ist. Zeiss engagiert sich darüber hinaus ehrenamtlich als Vorsitzender des Ausschusses Nachhaltigkeit beim Deutschen Reiseverband (DRV), Vorstandsvorsitzender der Nachhaltigkeitsinitiative Futouris e.V., Vorsitzender des Umweltbeirats des Tourismusverbandes Sachsen-Anhalt (LTV) und stellv. Direktor des Instituts für Tourismusforschung der Hochschule Harz (ITF).