Welcher Trichter ist der richtige?

MICE ist Wissensvermittlung. Und Ideenaustausch. Eine interdisziplinäre Gruppe in Bad Driburg war sich einig: Es muss sich viel ändern. 13 Menschen diskutierten die „Zukunft der Konferenzenim digitalen Zeitalter“.

Monika Graf muss sich oft gegen Vorstandsvorsitzende durchsetzen. „Ich zerreiße denen Ihre Power-Point-Präsentationen. Und dann frage ich sie: Können Sie nicht so reden, dass es jeder versteht.“ Graf hat Markt- und Werbepsychologie studiert und übt einen Job aus, von denen es nur etwa 15 in ganz Deutschland gibt. Sie ist Event-Regisseurin. „Wenn ein Dax-20-Unternehmen 15 Millionen Euro für einen Event ausgibt, habe ich manchmal Bauchschmerzen.“ Nicht der reinen Summe wegen. „Sondern mir geht es darum, das Geld meiner Kunden mit Live-Kommunikation sinnvoll anzulegen. Katrin Graf ist eine von 13 Teilnehmern einer Runde von interdisziplinären Spezialisten. Ihnen allen geht es  darum, „die Zukunft der Konferenzen im digitalen Zeitalter“ zu diskutieren. Das tut offenbar Not. „Wir sind auf dem Weg von der Industrie- in die Informationsgesellschaft irgendwo stehen geblieben“, sagt die Marken-Spezialistin Katrin Kaumann über ihre Motivation, hier in Bad Driburg für zwei Tagen an der Zukunft von Meetings, Tagungen und Events teilzunehmen. Ein hervorragender Gastgeber ist Dirk Ernst, Chief Marketing Officer im Management des Gräflichen Parks. Heute steht dort ein herausragendes Hotel mit ebensolchem Veranstaltungszentrum. Dem Familienbetrieb von Markus Graf von Oeynhausen gehören 1.700 Mitarbeiter an. Sie arbeiten auch in einem der fünf Kliniken, die ebenfalls den von Oeynhausens gehören. Die Familie lebt in einem Seitentrakt des Schlosses. Neuerdings gehört sogar mit dem Bilster Berg eine Rennstrecke dazu – weit genug, dass niemand die Autos hört und sieht, und nah genug, damit Autohersteller hier ihre neuesten Premium-Modelle vorstellen können. Ernst, der einst selbst bei großen Eventagenturen arbeitete, will der Runde einen Ort geben, wo neu nachgedacht werden kann. „Re Thinking Event 01“, so hatten es die beiden Initiatoren Dr. Torsten Fremer und Prof. Stefan Luppold genannt (siehe Interview), was die Teilnehmer der Runde wollen. Herausgelöst aus dem beruflichen Alltag wurde auf einem beachtlichen akademischen Niveau diskutiert. Das machte den meisten Teilnehmern Spaß, sich mal – oft Jahrzehnte nach dem Studienabschluss – wieder wie in einem Hauptseminar geistig austoben zu dürfen. Erste Ideen wurden an den beiden Tagen geboren. Aber am Ende war die Gruppe sich einig, dass weitere Treffen folgen müssen, um in die Praxis umsetzbare Konzepte zu entwickeln.

Denn zu viele Veranstaltungen laufen immer nach dem gleichen, langweiligen Muster.
Zuerst gibt es wichtige Redner.Dem folgen Diskussionsveranstaltungen – auf dem Podium oder in Kleingruppen. Für viele Teilnehmer ist dann die Kaffeepause das eigentlich Wichtigste, wo man sich austauscht. Dann wird gar nicht mal unbedingt über das eigentliche Thema der Veranstaltung geplaudert. Hinzu kommt: Die Anbieter von MICE konzentrieren sich viel zu sehr auf die Hardware: Tolle Beleuchtung in jedweder Farbe, preisverdächtige Innenarchitektur und eine Akustik für Klavierstimmer, das ist ihnen wichtig. Der vornehmste Grund für MICE ist aber erst einmal Wissensvermittlung und der Austausch von Ideen. Damit beschäftigen sich die wenigsten: Was ist der beste Trichter, Wissen und neues Denken in die Köpfe der Menschen zu bekommen, die an einer Veranstaltung teilnehmen?

„Ich versuche meinen Kunden manchmal, weniger Aktion  zu verkaufen. Damit noch Zeit ist, wo nichts passiert. So klappt der Austausch unter den Teilnehmern besser, insbesondere wenn man es versteht, die entstandenen Kommunikationsräume richtig zu inszenieren“, sagt Torsten Fremer, Chef von „Klubhaus – Agentur für intelligente Kommunikation.“ Dr. Carl Naughton ist pädagogischer Psychologe und seine Firma „Braincheck“ arbeitet daran, dass der Spaß bei der Wissensvermittlung nicht ausbleibt. „Denn Freude treibt die Leute an“, sagt er. „Die noch größere Motivation für einen Teilnehmer zu einem Event zu kommen ist aber, von anderen gehört zu werden.“ Damit erteilt er stundenlanger Frontal-Belallung eine klare Absage.

Andreas Greve sagt: „Es ist dringend nötig, an den bestehenden Veranstaltungen etwas zu verändern. Denn es gibt ein dringendes Bedürfnis für jeden Teilnehmer, sich einzubringen“. Auch für solche Menschen, die sich nicht laut artikulieren können oder wollen. Greve hat mit seiner Agentur Nextpractice deswegen ein elektronisches Tool entwickelt, mit dem auch die Gruppe hier in Bad Driburg immer wieder die ersten Ideen für das „Re Thinking“ einfängt. Erst in der großen Gruppe, am zweiten Tag in Arbeitsgruppen. Jeder hat dazu sein Notebook mitgebracht. Ein eigens aufgebautes WLan-Netz verknüpft die Rechner. Die erste Aufgabe für die Gruppe lautet, aufzuschreiben: Wann ist ein Zusammentreffen von Leuten erfolgreich; welche Voraussetzungen braucht es.“ Die Ideen stehen ohne Absenderangabe auf der Leinwand. Die Gruppe bewertet jede Idee. Wer sich nicht durchsetzen kann, „dem fallen die Ideen hinten hinunter“. Tatsächlich bleiben die besten Gedankenansätze oben auf der Leinwand und auch auf dem Display des Notebooks oben. Die weniger innovativen Sätze verschwinden. Wir schreiben: „In den Schulen sollte Reden halten wie in angelsächsischen Ländern ein eigenes Fach werden.“ Unsere Idee bleibt bis zum Schluss gut bewertet weit oben.

Designtheoretikerin Dr. Cornelia Lund von der Universität Hamburg und Mediendesigner Prof. Dr. Holger Lund beschäftigen sich theoretisch mit Zusammenkünften von Menschen. Die Wissenschaftler regen so angenehm zum Nachdenken an, wenn Cornelia Lund zu Beginn verkündet, dass „alleine das Wort Event ein allergieauslösendes Nichtwort“ sei. Gleichzeitig erklärt das Paar aber auch, sich eigentlich beruflich mit der gleichen Materie zu beschäftigen – mit der Zukunft der Begegnungen. Holger Lund sieht auch bei seiner Arbeit mit den Studenten, „dass wir für Zusammenkünfte andere Strategien brauchen.“ Denn schon seine Erstsemester lebten in einer Parallelwelt „zwischen analogem und digitalem Dasein.“ Wer anfängt bei Prof. Lund zu studieren, geht mit ihm zum Kennenlernen für zwei Tage auf eine Berghütte. „Da oben gibt es keinen Handyempfang und damit auch keine sozialen Welten im Web“, erzählt er. „Man glaubt es kaum, aber das sind für meine Studenten echte Schmerzen.“

Von Thomas Grether

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Interdisziplinäre Arbeiter dachten neu nach: „Re Thinking Event 01“ lautete der Arbeitstitel.
Foto: Sascha Reichert